6. Tag    
 
 
 

Abbruch
Ich schlafe nicht gut in dieser Nacht. Das Wetter hat sich verschlechtert. Der immer lauter heulende Wind weckt mich immer wieder auf.

Am nächsten Morgen ist alles vorüber. Der Nachthimmel wird langsam blau. Der Wind hat sich gelegt. Dass das nicht so bleiben sollte, würden wir bald erfahren.

Wir machen uns auf dem Weg zu unserem nächsten Gipfel, dem Pigne d'Arolla. Ein langer Aufstieg von reichlich 1000 Höhenmetern, aber auch eine genau so lange Abfahrt liegen vor uns.

Während des Marschs über den Glacier de Cheilo kommt plötzlich wieder Sturm auf. Föhnsturm aus dem Süden. Gut verpackt, mit Kapuze, Schneebrille und dicken Handschuhen laufen wir weiter. Jetzt am Seil. Die Sicht wird immer schlechter. Der Wind bläst inzwischen in Böen mit 8 Bft. Es wird immer schwerer voran zu kommen. Das Brett auf dem Rücken wirkt wie ein Segel. Immer wieder werde ich ein, zwei Schritte zurückgeblasen. Die Natur zeigt uns ihre geballte Kraft. Ein Drittel des Berges ist schon geschafft, da bleibt Thomas unser Guide stehen. Er kreuzt die Stöcke. Das ist das Signal für 'Abbruch'. Auf Grund der schlechten Sicht ist die Orientierung einfach nicht mehr möglich. Keiner sagt einen Ton. Wir wechseln das Equipment, schnallen Teleskopstöcke und Schneeschuhe auf den Rucksack und die Boards an die Füße. Ich bin enttäuscht. Sollte hier das Unternehmen 'Haute Route' scheitern?

 
 
 
 
Und das nur wegen des Wetters? Nicht mal, weil ich körperlich dazu nicht in der Lage wäre? Ich kann es nicht glauben. Deprimiert fahre ich in der Spur des Guides ab. Eine eigene Spur zu suchen, wäre jetzt bei den zugeblasenen Spalten zu gefährlich. Wir gehen nicht zurück zur Hütte, sondern fahren weiter zu den Eisenleitern, die wir gestern schon gesehen hatten. Die wollen wir hochklettern, um den Pas de Chévre zu überqueren. Von da aus wollen wir dann nach Arolla abfahren und auf besseres Wetter warten.

Am Fuße der Leitern macht sich plötzlich Panik in mir breit. Ich schau nach oben. 50m senkrecht über mir ist gerade Tim, der erste unserer Gruppe, am Ende der Leiter angekommen. Da soll ich hoch? Mit dem windanfälligen Board auf dem Rücken? Mit den dicken Snowboardboots an den Füßen? In denen man nicht annähernd die Leitersprossen fühlen kann? Ich versuche, meine Panik so gut wie möglich zu verbergen, mir keine Blöße vor den Jungs zu geben. Thomas Stefan klopft mir auf die Schulter. 'Keine Angst Grit. Ich sichere Dich am Seil. ' Mir fällt ein Stein vom Herzen. Meinen Karabiner fest im Seil verhakt klettere ich nach oben. Die Panik ist gesundem Respekt gewichen.


 

 
 
 
 

 

Oben angekommen strahle ich übers ganze Gesicht. Auch die Jungs grinsen wieder. Das betretenen Schweigen von eben ist einfach weg. Ich war an der Leiter so mit mir selbst beschäftigt, dass ich die vereinzelten blauen Flecke am Himmel gar nicht bemerkt hatte. Mit Aussicht auf besseres Wetter haben die Guides Thomas und Joseph eine Alternativroute auf ihrer Karte ausmachen können. Wir müssen nicht abbrechen! Wir können wie für heute geplant zur letzten Hütte der Tour, zur Cabane des Vignettes, aufsteigen! Aber es ist spät. Wir müssen Gas geben. Da das fällt uns nicht schwer. Denn vor uns liegt eine traumhafte Abfahrt zu den Gletscher Moränen. In raumgreifenden Turns fliegen wir hinunter an den Fuß der erste Moräne.

Auf den letzten Aufstiegskilometern kommt wieder starker Sturm auf. Einmal muss ich mich auf den Boden legen. Der Wind hatte sich so in meinem Brett verfangen, dass ich
einfach nicht stehen bleiben konnte. Aber Angst vor einem erneuten Abbruch müssen wir nicht mehr haben. Die Hütte ist nah und verlaufen können wir uns im Becken des Glacier de Piece auch nicht mehr. Mit letzter Kraft erreichen wir die Vignette Hütte

 
 
 
   
<<zurück